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Gutes tun und darüber sprechen – Nachhaltige Geschäftsideen unter der Lupe

Die Umwelt schützen, gesellschaftliche Probleme lösen – und damit auch noch Geld verdienen: Immer mehr Gründer:innen in Deutschland wollen etwas verändern, statt nur Gewinn zu erzielen. Hintergründe erklärt das Material des Monats. Mehr als 500 grüne Startups erfasst etwa der Green Startup Monitor 2021. Tendenz steigend. Doch woran lassen sich Startups erkennen, die nicht nur Ziele formulieren – sondern wirklich etwas bewegen?

Jannic Horne hat zu dem Thema an der Technischen Universität (TU) Berlin promoviert und untersucht heute mit seiner Firma Impact Nexus andere Startups auf Nachhaltigkeit. Über Kriterien und Kontroversen spricht er im Interview mit Wirtschaftsjournalistin Miriam Binner.

Herr Horne, in der deutschen Gründerwelt scheint ein Umdenken stattzufinden: Geht es inzwischen mehr um Wirkung als um Profit?
Ich würde es als eine Welle bezeichnen, auf der viele mitschwimmen wollen. Startups profitieren davon, wenn sie das Label „Nachhaltigkeit“ nutzen: etwa im Marketing, um Kunden und Talente anzuziehen. Einerseits ist das positiv, weil die Startups Aufmerksamkeit schaffen für drängende soziale und ökologische Probleme. Aber andererseits muss man sich genau ansehen, was die sogenannten Impact-Startups konkret unter Wirkung verstehen.

Inwiefern ist hier Skepsis gefragt?
Viele orientieren sich zwar an den sogenannten ESG-Kriterien („Environment, Social, Governance“) für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln oder den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen: Sie versuchen also, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, weniger Müll zu verursachen oder faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das ist gut, aber letztlich stellen sie das fundamentale Geschäftsmodell nicht in Frage. Ein Beispiel: In Berlin versorgen viele Software-Startups ihre Server mit nachhaltigem Strom – wenn sie jedoch mit dem Online-Handel zu tun haben, helfen sie im Ergebnis mit, dass mehr Pakete hin und her geschickt werden. Sie bedienen gar nicht den wichtigsten Wirkungshebel: das Geschäftsmodell.

Wie verdienen denn wirklich nachhaltige Startups ihr Geld?
Bei ihnen deckt sich die positive Wirkung mit dem zentralen Wertversprechen an die Kunden oder dem zentralen Attribut des Produkts. Das gilt zum Beispiel für die niederländische Firma Fairphone, deren zentrales Versprechen eine nachhaltige Lieferkette ist: also fair gehandelte Materialien zum Einsatz kommen und alle Beteiligten mit den Arbeitsbedingungen zufrieden sind. Ohne Recycling gäbe es das Startup mit seinem Angebot nicht. Andere junge Firmen, die indirekt mit der Bekämpfung des Klimawandels Geld verdienen wollen, stellen zum Beispiel Substitute für emissionsintensive und umweltschädliche Baustoffe wie Zement her. Schwieriger ist es, mit sozialen Geschäftsmodellen Geld zu verdienen.

Gibt es Beispiele, wo das bereits funktioniert?
Erfolgsbeispiele sind etwa das gemeinnützige IT-Unternehmen AfB aus dem baden-württembergischen Ettlingen, das Menschen mit und ohne Behinderung beschäftigt, oder die Firma Auticon aus Berlin, die gezielt autistische Mitarbeiter für IT- und Datenprojekte vermittelt – wo sich Autismus als Stärke erweist. Startups im sozialen Bereich gehen oft in Richtung Beratung, um etwa Vielfalt in Unternehmen zu verbessern.

Die guten Geschäftsmodelle lassen sich also schon auf den ersten Blick erkennen?
Ganz so einfach ist es nicht. Neue Mobilitätsdienste wie elektrische Tretroller oder Fahrräder zum Verleih sind ein Beispiel, das kontrovers diskutiert wird. Da machen beispielsweise Bilder die Runde von versenkten Rollern im Rhein oder von Fahrradfriedhöfen in China. Gerade mit Blick auf den Produktlebenszyklus schneiden elektrische Tretroller nicht gut ab. Ähnliche Fragen stellen sich bei Biokleidung, die unterschiedlich lange hält. Oft spielen verschiedene Effekte eine Rolle. Das macht die Analysen schnell unübersichtlich und oft auch unbefriedigend.

Viele wirkungsorientierte Startups operieren also doch eher im Ungewissen?
Ja, aber man kann auch nicht jedes Geschäftsmodell auf eine explizite oder gar eindeutige Wirkung ausrichten. Wie sind zum Beispiel Kommunikationsapps fürs digitale Büro wie Slack oder Messenger zu bewerten? Viele Unternehmen versuchen vielmehr, keinen negativen Effekt zu haben – und wenigstens das belegen zu können.

Worauf sollten potenzielle Kundinnen und Kunden konkret achten?
Meist fehlen natürlich Einblicke etwa in Produktionsprozesse: Wie viel Müll entsteht? Was wird wiederverwendet? Das ist von außen kaum zu beurteilen. Generell aber hilft eine Frage: Was sind die Alternativen zum Einkauf oder Vertragsabschluss mit genau diesem Unternehmen? So stoßen potenzielle Kunden auf Auffälligkeiten oder Unterschiede zum Status quo: zum Beispiel, dass das Unternehmen anders einkauft oder andere Materialien verwendet als etablierte Wettbewerber in der Branche. Über die Alternativen merkt man schnell, ob es nur grünes Marketing ist, oder wirklich eine Verbesserung dahintersteckt.

Woran lassen sich aber speziell Startups erkennen, die es ernst meinen mit ihrer Mission?
An transparenter Kommunikation, zum Beispiel über soziale Medien wie Linkedin oder Instagram: Interessant ist etwa, wie hoch der Anteil an inhaltlichen Beiträgen ist im Gegensatz zur Werbung. Zeigen die Startups zum Beispiel in Videos, wie sie Zulieferer getroffen haben? Das liefert einerseits Blicke hinter die Kulissen. Aber es zeigt auch, wie stark das Team seine Interessen und die Mission nach außen hin vertritt: Schaffen sie Öffentlichkeit für ihre Themen? Generell verrät auch das Team einiges: Wer sind die Menschen hinter dem Startup? Was haben sie in ihrem Leben bisher gemacht? Wie viel Zeit und Engagement haben sie schon in soziale Projekte gesteckt? Und welche Kapitalgeber holen sie sich an Bord? Denn die Investoren bestimmen meist die Entwicklungsrichtung der jungen Firma stark mit – sind sie auf einen schnellen und lukrativen Verkauf ihrer Anteile aus oder haben sie einen langfristigen Fokus und verpflichten sich zu einem positiven Beitrag ihres Portfolios? Letztlich sind dies aber nur Hinweise. Es besteht immer eine gewisse Gefahr von „Impact-Washing“, also dass man sich nachhaltiger vermarkten will, als man es tatsächlich ist.

Gerade letztere, sogenannte Impact-Investoren, schauen oft genau hin. Wie können die jungen Firmen ihre Wirkung nachweisen? Das ist eine knifflige Frage. Wirkungsanalysen sind komplex und teilweise enorm aufwendig – je nachdem, ob man an Software arbeitet und vor allem Strom verbraucht oder etwas herstellt und eine ganze Lieferkette im Blick haben muss. Das macht es gerade für noch junge Startups mit kleinen Teams schwierig, eindeutige Aussagen oder harte Zahlen zu liefern. Zumal sie oft nur Prognosen anstellen können, wenn sie mit neuen Produkten oder Dienstleistungen auf den Markt gehen.

Aber es gibt doch längst Standards, nach denen sich auch Großunternehmen zertifizieren lassen.
Ja, solche Standards gibt es, aber auch hier werden häufig nicht alle relevanten Wirkungen der Unternehmen berücksichtigt. Dazu haben die etablierten Unternehmen oft ganze Teams nur für das Thema Nachhaltigkeit. Und auch höhere Budgets etwa für externe Beratung. Für die Startups werden praktikable Standards erst jetzt erarbeitet – zum Beispiel soll die im Oktober veröffentlichte DIN SPEC 90051-1 erstmal Begriffe klären und Orientierung darüber geben, welche Schritte eine Nachhaltigkeitsbewertung umfasst. Da muss man milde sein mit den Startups. Je größer sie werden, desto konkretere Angaben machen sie meist. Zum Beispiel zur CO2-Einsparung: Wird da gesplittet in Eigenbereich und Lieferkette, dann ist das schon viel wert.

Was muss sich tun, damit nachhaltige Startups weitere Bereiche erobern?
Wo Nachhaltigkeitsprobleme gleichzeitig ökonomischen Schaden anrichten, ist der Handlungsdruck ohnehin hoch – und da bin ich auch optimistisch für grüne Startups. Zum Beispiel in Technologie rund um energieeffiziente Gebäude stecken Investoren viel Geld.

Die Anreize gehen also schon in die richtige Richtung?
Nicht überall. Vor allem der soziale Bereich ist noch unterversorgt, weil es da in unserem Sozial- und Wirtschaftssystem schwierig ist, tragfähige und skalierbare Geschäftsmodelle zu entwickeln. Es gibt zwar Verbände und soziale Initiativen, die die Themen vorantreiben. Aber die größte Herausforderung bleibt es, solches Engagement in wirtschaftlich solide Geschäftsmodelle zu übersetzen. Es braucht eine Antwort darauf, wie nachhaltiges und vor allem soziales unternehmerisches Handeln künftig belohnt werden soll.

Herr Horne, vielen Dank für das Gespräch.

Über den Interviewpartner:
Jannic Horne ist Gründer und Geschäftsführer des Analyse- und Beratungsunternehmens Impact Nexus mit Sitz in Berlin. 2021 ausgegründet aus dem gemeinnützigen Forschungsinstitut für Innovation und Nachhaltigkeit Borderstep, entwickelt die Firma Werkzeuge für die Nachhaltigkeitsbewertung und richtet sich damit unter anderem an Investoren sowie die Initiatoren von Startup-Förderprogrammen. Der ehemalige Unternehmensberater der Boston Consulting Group hat an der TU Berlin zum Thema Wirkungsmessung und -Management von Startups promoviert.

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