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Mindestgehalt und Teilzeitregel: Was das neue Berufsbildungsgesetz für den Ausbildungsvertrag bedeutet

Endlich fertig mit der Schule, ein Ausbildungsplatz ist schon gefunden. Jetzt fehlen nur noch Formalitäten. Aber der seitenlange Ausbildungsvertrag liegt seit Tagen in der Schublade. Oder wird in letzter Minute hastig unterschrieben. Dabei lohnt es sich, genau hinzusehen – das zeigt auch das Material des Monats der Sekundarstufe I. Seit Januar 2020 greift zudem eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), die u. a. eine Mindestvergütung vorschreibt und eine Ausbildung in Teilzeit vereinfacht. Worauf es sonst noch beim Ausbildungsvertrag ankommt, fasst Wirtschaftsjournalistin Pauline Schinkels zusammen.

Anfang August startet für viele Schulabsolvent:innen die Berufsausbildung. Einen Ausbildungsplatz zu bekommen, war coronabedingt nicht ganz einfach. Die Krise traf auch den deutschen Ausbildungsmarkt: Betriebe konnten ihre Auszubildenden nicht richtig betreuen, Prüfungen wurden verschoben und das Stellenangebot reduziert. Allerdings waren die Einbrüche bis jetzt nicht so massiv wie erwartet, das zeigen Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). So blieb die Übernahme von Auszubildenden konstant hoch.

Insgesamt ging die Anzahl der angebotenen Ausbildungsplätze 2020 um rund neun Prozent zurück. Gleichzeitig bewarben sich auch weniger junge Menschen auf eine Ausbildungsstelle. Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) wurden im vergangenen Jahr deshalb erstmals unter 500.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen – so wenige wie noch nie.

Wer trotz Corona-Pandemie einen Vertrag ergattert, überfliegt häufig nur die vielen Klauseln – ohne groß Rückfragen zu stellen. Dabei schreibt das im vergangenen Jahr erneuerte BBiG genau vor, was alles im Ausbildungsvertrag stehen muss.

Vorweg: Er ist verpflichtend. Anders als bei anderen Arbeitsverträgen, wo eine mündliche Vereinbarung bereits bindend ist. „Wer andere Personen zur Berufsausbildung einstellt, hat mit den Auszubildenden einen Berufsausbildungsvertrag zu schließen“, heißt es dazu im BBiG. Auch der Ausdruck ist Pflicht, besagt Paragraph 11: „Die elektronische Form ist ausgeschlossen.“ Liegt der Vertrag dann vor, muss dieser sowohl vom Ausbildenden als auch vom Auszubildenden unterschrieben werden. Wer noch minderjährig ist, kann den Vertrag zwar selbst unterzeichnen, muss aber zusätzlich seine gesetzlichen Vertreter, wie etwa die Eltern, bitten ebenfalls zu unterschreiben. Deren Meinung hat einen erheblichen Einfluss auf die Frage, wie es nach der Schule weitergeht. Das zeigen jüngste Untersuchungen für die Joachim Herz Stiftung.

Ausnahmen je nach Einsatzbereich

Das BBiG gilt aber nicht für alle Ausbildungen. Handelt es sich um eine rein schulische Ausbildung, greift das Schulgesetz und das regelt jedes Bundesland bekanntermaßen anders. Gleiches gilt für Ausbildungen an Hochschulen. Außerdem greift das Gesetz nicht für Auszubildende im öffentlich-rechtlichen Dienst oder auf deutschen Handelsschiffen.

Im Vertrag selbst kann eine Menge geregelt sein, wie etwa zu Geheimhaltungspflichten oder zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Aber der Gesetzgeber schreibt durch das BBiG (§ 10) gewisse Mindestanforderung vor.

Wesentliche Vertragsinhalte im Fokus

  • Art, sachliche und zeitliche Gliederung sowie das Ziel der Berufsausbildung, insbesondere die Berufstätigkeit, für die ausgebildet werden soll
    Mit dem Arbeitsvertrag muss direkt der betriebliche Ausbildungsplan mitgesendet werden, aus dem der Ablauf und die beruflichen Inhalte der Ausbildung hervorgehen. Die genaue sachliche und zeitliche Gliederung wird in der jeweiligen Ausbildungsordnung geregelt.
  • Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeiten
    Laut Arbeitszeitgesetz darf diese zehn Stunden am Tag nicht überschreiten. Überstunden müssen, laut BBiG, entweder bezahlt oder mit Freizeit ausgeglichen werden. Auszubildende dürfen vor einem vor 9 Uhr beginnenden Berufsschulunterricht nicht beschäftigt werden. Sie müssen auch nicht mehr in den Betrieb kommen, wenn ein Berufsschultag mehr als fünf Unterrichtsstunden von je 45 Minuten umfasst. Der gilt dann als Arbeitstag. Analog dazu gilt im Blockunterricht als Arbeitswoche, wenn an mindestens fünf Wochentagen 25 Unterrichtsstunden stattfinden. Grundsätzlich zählt Berufsschulzeit also als bezahlte Arbeitszeit. Seit 2020 haben alle Auszubildenden zudem Anspruch auf einen freien Tag vor den schriftlichen Abschlussprüfungen.
  • Dauer der Probezeit
    Im Vertrag muss die jeweilige Probezeit festgehalten werden. Diese zeitlich befristete „Bewährungsphase“ gilt sowohl für den Auszubildenden als auch für den Betrieb. Die Probezeit muss mindestens einen und darf höchstens vier Monate betragen. In diesem Zeitraum kann das Ausbildungsverhältnis jederzeit, ohne Einhalten einer Frist, beidseitig gekündigt werden.
  • Zahlung und Höhe der Vergütung
    Seit Januar 2020 greift eine neue Mindestvergütung für Auszubildende, die von Jahr zu Jahr steigt. Im 2. Ausbildungsjahr erhöht sich die Vergütung um 18 Prozent, im 3. Jahr um 35 Prozent und im 4. Jahr um 40 Prozent (Referenzjahr je 1. Ausbildungsjahr).
     
    Jahr 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr
    2020 515 608 695 721
    2021 550 649 743 770
    2022 585 690 790 819
    2023 620 731 837 868
    Quelle: IHK Köln, Angaben in Euro, gerundet

    Wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist, gilt die tariflich festgesetzte Höhe der Ausbildungsvergütung. Ist der Ausbildungsbetrieb nicht tarifgebunden, darf er den branchenüblichen Tarif um höchstens 20 Prozent unterschreiten. Unter die Mindestvergütung darf er nie gehen, außer die Ausbildung erfolgt in Teilzeit.
  • Dauer des Urlaubs
    Spätestens nach einem halben Jahr können Auszubildende Urlaub nehmen. Wie viele Tage ihnen zustehen, regelt das Bundesurlaubsgesetz, kurz BUrlG. Bei einer Fünf-Tage-Woche sind es mindestens 20. Wer sich z. B. in der Gastronomie oder im Einzelhandel ausbilden lässt, arbeitet oft samstags. Bei einer Sechs-Tage-Woche stehen den Auszubildenden mindestens 24 Urlaubstage zu. Für minderjährige Auszubildende greift, was die tägliche Arbeitszeit als auch die Dauer des Urlaubs angeht, das Jugendarbeitsschutzgesetz.
  • Voraussetzungen, unter denen der Berufsausbildungsvertrag gekündigt werden kann
    Nach der Probezeit können Ausbildende ihren Auszubildenden nur noch aus wichtigen Gründen fristlos kündigen. Als wichtiger Grund zählt ein schwerwiegender, vertraglicher Pflichtverstoß: Der Auszubildende fehlt z. B. unentschuldigt, hat geklaut oder verspätet sich wiederholt. Allzu viel Zeit dürfen sie aber nicht verstreichen lassen, denn der Auslöser darf nicht mehr als zwei Wochen zurückliegen. Auch die Auszubildenden können außerordentlich kündigen, etwa wenn sie im Betrieb schikaniert werden oder sich niemand um sie kümmert. Zudem können sie anders als die Ausbildenden noch ordentlich kündigen, wenn sie ihre Berufsausbildung aufgeben oder wechseln möchten. Dann gilt eine Kündigungsfrist von vier Wochen. Wollen sie allerdings einfach nur den Betrieb wechseln, um ihre Ausbildung woanders fortzuführen, müssen sie sich ggf. mit ihren Ausbildenden über einen Aufhebungsvertrag verständigen.
  • Nichtige Vereinbarungen
    Bestimmte Formulierungen dürfen explizit nicht im Berufsausbildungsvertrag vorkommen z. B. Vereinbarungen, die Auszubildende nach dem Ausbildungsende verpflichten, weiter im Ausbildungsbetrieb zu arbeiten, die also ihre Berufsfreiheit einschränken. Das gilt nicht, wenn sie sich innerhalb der letzten sechs Monate der Berufsausbildung entsprechend verpflichten. Nicht enthalten sein dürfen zudem Klauseln, die zu Entschädigungen verpflichten oder mit Vertragsstrafen drohen.

Die neuen Regeln sollen vieles erleichtern: „Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz machen wir die berufliche Bildung in Deutschland attraktiver“, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zur Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 2019 im Bundestag. U. a. vereinfacht es auch die Berufsausbildung in Teilzeit. Die war bisher nur in Ausnahmefällen möglich. Mit der Novelle kann die Ausbildungszeit halbiert und gleichzeitig die Ausbildungsdauer um das Eineinhalbfache verlängert werden.

Duales Studium weiterhin ungeschützte Bezeichnung

Karliczeks Novelle steht aber auch in der Kritik. Vor allem, weil das Gesetz weiterhin das duale Studium außen vorlässt, das in Deutschland zunehmend beliebter wird. Der Begriff „duales Studium“ sei „nach wie vor ungeschützt“, kritisierte Yasmin Fahimi, Ausbildungsexpertin der Sozialdemokraten im Handelsblatt.

Die Krux: Mal bieten Betriebe ein sogenanntes „ausbildungsintegriertes Studium“ an, dann wird eine reguläre Berufsausbildung abgeschlossen. Es kann aber auch sein, dass es sich dabei lediglich um ein „praxisintegriertes Studium“ handelt. Wie diese betrieblichen Praxisphasen umgesetzt und welche Lerninhalte dabei vermittelt werden, ist aber bis dato ungeregelt. „Da gibt es viel Wildwuchs“, sagt Daniel Gimpel, Jugendreferent beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Wer so ein duales Studium absolvieren will, solle daher ganz genau in den Studien- bzw. Ausbildungsvertrag schauen, rät er. Ob und wann sich die Situation für dual Studierende verbessern und womöglich das BBiG erneut novelliert wird, entscheidet sich erst nach der Bundestagswahl 2021.

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