Die Weltwirtschaft hat Kammerflimmern – und Deutschland tut sich schwer, den eigenen Puls zu stabilisieren. Der Jahresrückblick zeigt, dass Unternehmen und Politik oft auf geopolitische Verwerfungen reagieren müssen. Für eigene Impulse bleibt dabei häufig wenig Raum, analysiert Wirtschaftsjournalist Manuel Heckel.
Haustürbesuche im Schneematsch, Flyer verteilen im eisigen Regen: Deutschland startet im ungewohnten Winterwahlkampfmodus ins neue Jahr. Nach dem Ampel-Aus wenige Wochen vor Weihnachten 2024 werben in den ersten Monaten 2025 die Parteien um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Und tragen dabei auch immer wieder das Versprechen vor: Ein Kreuz bei ihnen sorgt auch mit dafür, dass es in der Bundesrepublik wirtschaftlich wieder nach vorne geht. Weniger Schulden des Staates, mehr Schwung für die Wirtschaft, so steht es in vielen Parteiprogrammen.
Zunächst aber, noch bevor sich der neu gewählte Bundestag zusammensetzt, geht es plötzlich um mehr Schulden. Und zwar um eine gewaltige Summe. Nach langem Gerangel ändert die Politik im März das Grundgesetz und macht den Weg frei für ein „Sondervermögen“ außerhalb des normalen Bundeshaushaltes – in Höhe von bis zu 500 Milliarden Euro. Diese Zusatzmittel sollen in den nächsten Jahren genutzt werden, um beispielsweise Straßen, Brücken oder Schienen zu sanieren, Krankenhäuser zu digitalisieren, das Energiesystem umzubauen sowie Bildungs- und Forschungsprojekte zu fördern. Damit wolle man den Investitionsstau in Deutschland lösen, schreibt das Bundesfinanzministerium.
Zittern vor globalen Verwerfungen
Das Sondervermögen soll so auch eine Sonderkonjunktur für viele Unternehmen bewirken. Nach mehreren Quartalen der wirtschaftlichen Stagnation oder Rezession eigentlich eine gute Nachricht. Doch die deutsche Wirtschaft bleibt verunsichert. Denn der Freude über den möglichen Geldregen aus der Staatskasse stehen Verunsicherungen auf dem globalen Parkett gegenüber.
Im Februar jährt sich der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine bereits zum dritten Mal. Das sorgt für extrem gut laufende Geschäfte bei einigen Rüstungsfirmen: Der Aktienkurs des Düsseldorfer Unternehmens Rheinmetall ist beispielsweise im Laufe dieses Jahres um mehr als 150 Prozent gestiegen. Viele andere Wirtschaftszweige leiden jedoch unter hohen Energiepreisen sowie versperrten Absatzmärkten. China wiederum verschärft im Laufe des Jahres mehrfach die Exportbeschränkungen für Seltene Erden und andere kritische Rohstoffe.
Und auch aus dem Westen droht Ungemach: Von Mitte Februar an verkündet US-Präsident Donald Trump drastisch erhöhte Zölle auf eine Vielzahl an Warengruppen aus zahlreichen Staaten. Die EU soll es zunächst mit Zusatzabgaben auf Stahl und Aluminium treffen. Im April folgen Strafzölle auf Autos und Autoteile – was gerade exportorientierte deutsche Unternehmen aus dem Automotive- oder Maschinenbaubereich belastet.
In den Wochen und Monaten wird intensiv zwischen den Weltregionen verhandelt, teilweise über Zölle auf spezifische Produkte wie Zahnseide oder Whiskey. Einige Handelshemmnisse können verhindert werden. Andere bleiben, wie etwa der Zoll von 50 Prozent auf Stahl- und Aluminiumerzeugnisse oder ein Satz von 15 Prozent auf Autos, der zunächst sogar 25 Prozent betragen hatte. Im Gegenzug für gesenkte Zölle verpflichtet sich die EU unter anderem, ihrerseits Zölle auf US-Produkte zu reduzieren sowie US-Agrarprodukten den Zugang zum Binnenmarkt zu erleichtern. Für zahlreiche deutsche Firmen, die intensiv auf den Absatzmarkt USA setzen, heißt es jedoch: Entweder künftig auf relevante Umsatzanteile verzichten. Oder massiv in den USA selbst investieren, also Werke und Arbeitsplätze aus der Bundesrepublik nach Nordamerika verlagern.
Herbst der Reformversuche
Die im Mai dann ins Amt gewählte neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD muss sich über den Sommer zunächst um zahlreiche außenpolitische Krisen kümmern. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ruft jedoch danach den „Herbst der Reformen“ aus. Vor allem tiefgreifende Veränderungen der Sozialsysteme stehen dabei im Fokus, die sich jedoch auch auf die Wirtschaft auswirken sollen: Krankenkassen klagen beispielsweise unisono darüber, dass die Beiträge schneller steigen müssten, um Finanzlücken zu schließen. Arbeitgeber:innen wiederum fordern ein Absenken dieser Beiträge. Arbeitnehmer:innen fordern ebenfalls mehr Netto vom Brutto.
Die Debatten um diese und andere Themen werden gesellschafts- und wirtschaftspolitisch scharf geführt. Viele Beobachter:innen blicken skeptisch bis kritisch auf die Ergebnisse, die im Laufe des Herbstes verkündet werden. Kleine Durchbrüche gelingen, der große Wurf dagegen nicht. Im Oktober einigt sich die Koalition auf eine neue Förderung für den Kauf von Elektroautos. Anfang November kündigt Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) beispielsweise einen subventionierten Industriestrompreis ab 2026 an – diese Pläne könnten jedoch noch von der EU-Kommission gestoppt werden.
Weniger Jobs, mehr Pleiten
Das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal stagniert. Die Nachrichten gegen Jahresende sorgen ebenfalls nicht für Optimismus. Mitte Dezember meldet die Auskunftei Creditreform, dass im Jahr 2025 fast 24.000 Unternehmen mit insgesamt 285.000 Beschäftigten Insolvenz anmelden – solch hohe Fallzahlen hatte es seit elf Jahren nicht mehr gegeben. Besserung ist nicht in Sicht: „Viele Betriebe sind hoch verschuldet, kommen schwer an neue Kredite und kämpfen mit strukturellen Belastungen wie Energiepreisen oder Regulierung“, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Die Automobilindustrie, der Handel und die Gastronomie haben besonders zu kämpfen.
Die Hiobsbotschaften mehren sich quer durch die Branchen, quer durch die Unternehmensgrößen. Die Automobilindustrie, der Handel und die Gastronomie haben besonders zu kämpfen. Mehrere Unternehmen kündigen umfangreiche Stellenreduzierungen an – bei Volkswagen geht es um 35.000 Jobs, bei der Deutschen Bahn um 30.000 Arbeitsplätze, bei Automobilzulieferern wie ZF Friedrichshafen oder Bosch sind je mehr als 10.000 Stellen gefährdet. Eine wachsende Zahl an Firmen rutschen sogar in die Insolvenz und muss komplette Standorte dicht machen.
Diese Nachrichten wirken sich auf den Arbeitsmarkt aus. Im August sind erstmals seit zehn Jahren wieder mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos gemeldet. Dennoch hält sich die Arbeitslosenquote bislang über das gesamte Jahr 2025 noch stabil bei knapp über sechs Prozent. Das liegt vor allem daran, dass viele Unternehmen zwar Personal abbauen wollen, das aber selten durch unmittelbare Kündigungen passiert. Stattdessen werden freiwerdende Stellen nicht mehr neu besetzt und ältere Angestellte können finanziell abgefedert in die Frühpension wechseln.
Eine andere Kennzahl gibt jedoch Anlass zur Sorge: Berufseinsteiger:innen tun sich immer schwerer. Die Zahl der jungen Hochschulabsolventen unter 30 Jahren, die arbeitslos sind, ist beispielsweise innerhalb eines Jahres um 25 Prozent gestiegen, meldet die Bundesagentur für Arbeit. Einsteigerpositionen werden seltener ausgeschrieben. Zum einen verzichten Unternehmen aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Lage auf diese Einstellungen. Zum anderen wird in immer mehr Jobs mittlerweile Künstliche Intelligenz eingesetzt, um Routineaufgaben automatisiert zu erledigen.
Im Sog all dieser Krisen geraten auch die Verbraucher:innen stärker unter Druck. Zwar hat sich die Inflationsrate im Jahresverlauf in einem Korridor zwischen zwei und 2,4 Prozent stabilisiert. Dennoch belasten hohe Kosten für Energie, Wohnen, Lebenshaltung sowie die wachsende Zahl an Stellenstreichungen immer mehr Bürger:innen. Etwas mehr als 76.000 Menschen müssen im Jahr 2025 Privatinsolvenz anmelden, zählt Creditreform. Das entspricht einen Anstieg von 6,5 Prozent zum Vorjahr. Und die Konsumspirale dreht sich weiter nach unten: Wer Sorgen um seinen Arbeitsplatz hat, hält das Geld zusammen und verschiebt den Kauf einer Küche, eines Autos oder gar eines Eigenheims.
Vorsichtiger Blick voraus
Der Ausblick der Verschuldungsexpert:innen ist nicht allzu optimistisch: Milliardeninvestitionen des Staates könnten 2026 eventuell das deutsche Wirtschaftswachstum ankurbeln – aber so höchstens einen erneuten Anstieg der Insolvenzzahlen verhindern, erwartet Creditreform. Auch andere Expert:innen rechnen nicht mit Jubelbotschaften. Viele prognostizieren immerhin ein leichtes Wirtschaftswachstum von 1 bis 1,5 Prozent, häufig wird ein geringerer Anstieg als in anderen EU-Ländern erwartet.
Doch im Inneren bleiben viele strukturelle Herausforderungen in der Wirtschaftspolitik, etwa rund um die Zukunft der Automobilindustrie oder die Rente. Und außenpolitisch bleibt die deutsche Wirtschaft zu großen Teilen abhängig von dem, was in Washington D.C., Peking oder Moskau entschieden wird.
Material des Monats: Nachhaltig konsumieren – aber wie?
Material des Monats: Staatsverschuldung: Fluch oder Segen?
Alle Artikel aus der Rubrik "Aktuelles" im Überblick