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Ist fairer Handel möglich? Das Lieferkettengesetz in der Diskussion

Lange Zeit setzte die Bundesregierung darauf, dass Unternehmen ihre Lieferketten freiwillig kontrollieren – ohne nennenswerten Effekt. Damit ist jetzt Schluss. Anfang März brachte das Kabinett ein Gesetz auf den Weg, das Unternehmen verpflichtet, international geltende Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. Heißt: keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, ein angemessener Lohn. Eine Vorschrift auf EU-Ebene soll folgen. Die wichtigsten Argumente in der Debatte ordnet Wirtschaftsjournalistin Pauline Schinkels ein.

Wer ein neues Smartphone bestellt, hat etliche Modelle von etlichen Herstellern zur Auswahl. Sie variieren im Preis, in ihrer Leistung, aber auch in ihrer Genese: Denn in jedem Gerät stecken Rohstoffe wie Kupfer, Coltan oder Eisen, die auf der ganzen Welt abgebaut und verarbeitet werden – unter zum Teil verheerenden Arbeitsbedingungen und mit gravierenden Folgen für die Umwelt.

Intransparente Lieferketten: Profit um jeden Preis?

Gleiches gilt etwa für Textilien oder Lebensmittel, die weltweit verfrachtet werden. Auf den Verpackungen von Bananen oder Kakao finden sich zwar die Anbauregionen. Und auf dem Etikett eines Pullovers steht, wo er hergestellt wurde. Doch: Ob die Bauern für den Kakao einen Mindestlohn erhalten und die Textilarbeiter Schutzkleidung getragen haben, darüber erfahren die Käufer erst einmal wenig.

Seit Langem wird deshalb darüber diskutiert, Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, solche Sozial- und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten sicherzustellen. Nicht ohne Grund. In Deutschland sind nicht nur die Elektro-, Textil- und Agrarindustrie von importierten Rohstoffen und Vorleistungen abhängig, sondern etliche weitere Wirtschaftszweige wie etwa die Chemie- und Autobranche. Bis jetzt beruhte diese Kontrolle auf Freiwilligkeit. Von selbst kamen dem allerdings nur zwischen 13 und 17 Prozent der Unternehmen nach, wie eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Untersuchung im Sommer 2020 zeigte. Das ist zu wenig, urteilte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). „Es gibt ein paar schwarze Schafe, die einen Kostenvorteil zu erlangen suchen, indem sie weiterhin solche Standards unterlaufen“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“.

 

Streit um Lieferkettengesetz: Den einen zu wenig, den anderen zu viel

Im Februar 2021 legten Müller, Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) deshalb nach langen Verhandlungen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Die Reaktionen auf den vorgestellten Kompromiss waren kontrovers: Der Entwurf gehe nicht weit genug, das zeige sich vor allem im Umgang mit den mittelbaren Zulieferern, kritisierte die Initiative Lieferkettengesetz, der mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen angehören. Oxfam nannte es die „Lightversion eines wirksamen Gesetzes“. Die Umweltorganisation Greenpeace bemängelte, das Gesetz sanktioniere Umweltschäden nicht ausreichend.

Gegenwind kam auch von den Wirtschaftsverbänden. Denen, wie etwa dem Bundesverband Deutscher Industrie (BDI), sind die neuen Sorgfaltspflichten wiederum zu streng. „Die vertragliche Weitergabe der Sorgfaltspflichten durch ihre Kunden belastet in jedem Fall mittelständische Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, wenn sie selbst unmittelbare Zulieferer sind“, kritisierte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.

Ziel der neuen Regulierung ist es, gegen schwere Versäumnisse von Unternehmen vorzugehen. Einige bekannte Beispiele: 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Sabhar, nordwestlich von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka ein. Bereits am Vortag waren Risse im Gebäude entdeckt worden, die Polizei verbot den Zutritt, viele Angestellte arbeiteten trotzdem dort – auf Druck der Fabrikbetreiber. Es ist der bisher schlimmste Unfall in der internationalen Textilindustrie, mehr als 1.100 Menschen starben. Verursacht hatten den Einsturz des Gebäudes, in dem auch mehrere europäische Modefirmen produzieren ließen, schwere Baumängel.

In der chinesischen Provinz Xinjiang arbeiten laut Medienberichten zahlreiche Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren unter Zwang. In der Region ist unter anderem auch der deutsche Autohersteller Volkswagen vertreten. Noch im Herbst 2018 hatte Konzernchef Herbert Diess in einem Interview mit der BBC allerdings erklärt, von Menschenrechtsverstößen in Xinjiang nichts zu wissen. Die Problematik betrifft aber nicht nur Länder des Globalen Südens: Ende März berichteten Reporter:innen der ZDF-Sendung Frontal21 von den schlechten Arbeitsbedingungen auf südspanischen Erntefeldern. Auch hierzulande rücken seit dem Corona-Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies im vergangenen Jahr zunehmend die hohe Arbeitsbelastung und die desolate Wohnsituation von etlichen Leiharbeiter:innen und Saisonfachkräften in den Fokus.

Wie weit soll ein Gesetz gehen?

Werden solche Missstände publik, kann das Unternehmen die Reputation kosten. Und finanziell schmerzen: Kund:innen, Geschäftspartner:innen oder Investor:innen wenden sich ab. Die Aktienkurse fallen und der Zugang zu neuem Kapital wird schwieriger. Ein Risiko, das noch immer viele Firmen in Kauf nehmen, weil sich Rohstoffe und Produkte in einer globalisierten Welt so sehr viel günstiger ein- und damit gewinnbringender verkaufen lassen. Mit dem Lieferkettengesetz drohen diesen Unternehmen künftig Bußgelder. Eine zivilrechtliche Haftung fehlt allerdings im Gesetzesentwurf. Das heißt: Betroffene können selbst nicht klagen, das können lediglich deutsche Nichtregierungsorganisationen für sie übernehmen. Der Gesetzgeber setzt also eher auf Abschreckung. Ob von der Gesetzesnovelle letztlich die Arbeiter:innen in den meist ärmeren Produktionsländern profitieren, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

Denn greifen soll das Gesetz erst ab 2023 und zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. In Deutschland sind das etwa 600. Bis dahin liegt es an den Verbraucher:innen: Wer sichergehen will, dass sein Kakao, sein Pullover oder sein Smartphone fair produziert wurden, der muss nach entsprechend gekennzeichneter Ware suchen. Der Begriff „fair“ ist zwar gesetzlich nicht geschützt, es gibt aber verschiedene geprüfte Siegel: Bei Lebensmitteln ist das wohl bekannteste das „Fairtrade“-Siegel, ein eingetragenes Sozialsiegel, das die internationalen Fairtrade-Standards erfüllt. Allerdings erlaubt der sogenannte Mengenausgleich, konventionelle und fair gehandelte Rohstoffe zu vermischen. 2019 führte das BMZ zudem das staatliche Textilsiegel „Grüner Knopf“ ein, das insgesamt 46 Umwelt- und Sozialstandards umfasst.

Indes will die EU-Kommission, noch bevor das deutsche Gesetz in Kraft tritt, mit einem eigenen Gesetz nachlegen. Anfang März einigte sich das Parlament auf die Eckpunkte eines europaweiten Lieferkettengesetzes – und das geht deutlich weiter als der deutsche Entwurf. Denn die europaweite Regulierung soll für die gesamte Lieferkette greifen. Schwere Verstöße könnten gar mit einem Importbann sanktioniert werden. Einen konkreten Entwurf will die Kommission noch vor der Sommerpause präsentieren. „Wir wollen ein starkes Signal aussenden und wir wollen weit gehen, weit die Lieferkette herunter“, warnte EU-Justizkommissar Didier Reynders im März in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bereits die Unternehmen.

 

Kurz erklärt: Das Lieferkettengesetz

Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ sieht vor, dass deutschen Unternehmen, die in ihren Lieferketten gegen die Menschenrechte verstoßen, künftig Bußgelder drohen: bei schweren Verstößen bis zu zwei Prozent des weltweiten Konzernumsatzes. Demnach sind Firmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitenden verpflichtet, regelmäßig Risiken zu analysieren, einen Beschwerde-Prozess einzurichten sowie Mindeststandards bei sich und bei ihren unmittelbaren Zulieferer:innen (den direkten Vertragspartner:innen) sicherzustellen. Bei mittelbaren Zulieferer:innen gilt: Erst, wenn das Unternehmen substantiierte Kenntnis, etwa durch den Hinweis einer Nichtregierungsorganisation, über mögliche menschenrechtliche Verletzungen erlangt, muss es Maßnahmen ergreifen. Der jetzige Entwurf verweist auf angemessene Löhne, die sich an den geltenden Regelungen am jeweiligen Beschäftigungsort orientieren sollen (der Mindestlohn in Myanmar liegt derzeit beispielsweise bei knapp drei Euro pro Tag, in Bangladesch erhalten Näher:innen um die 80 Euro (95 US-Dollar) im Monat). Umweltschäden werden nur sanktioniert, wenn sie zu Menschenrechtsverletzungen führen. Übersteigt ein verhängtes Bußgeld die Höhe von 175.000 Euro, können Unternehmen zudem bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Das Gesetz soll ab 2023 in Kraft treten, ab 2024 gilt es dann für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Das Bundeskabinett brachte den Gesetzentwurf Anfang März auf den Weg. Mitte des Jahres soll er im Bundestag debattiert und noch vor der Wahl im September verabschiedet werden. Überprüfen soll die Einhaltung der Sorgfaltspflichten künftig das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Andere Nachbarländer, wie etwa die Niederlande oder Frankreich, haben bereits verbindliche Regelungen für gerechten Handel.

 

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