„Wohnst du noch, oder lebst du schon?“. So lautet der bekannte Werbespruch eines international agierenden Möbelunternehmens. Vermutlich würde heute die Antwort vieler Menschen lauten: „Ich würde gerne wohnen, um vernünftig leben zu können“. Insbesondere in Großstädten ist es mittlerweile für viele Menschen schwierig geworden, ausreichenden bzw. bezahlbaren Wohnraum zu finden.
Wohnen als gesellschaftlich-politisches Konfliktfeld
Dabei zählt angemessenes Wohnen zu den menschlichen Grundbedürfnissen und ist als grundlegendes Menschenrecht u. a. im Sozialpakt der Vereinten Nationen und der Europäischen Sozialcharta festgehalten. Und damit ist mehr gemeint als das sprichwörtliche „Dach über dem Kopf“. Vielmehr soll allen Menschen sicherer Zugang zu gleichermaßen kulturell passendem, angemessenem und bezahlbarem Wohnraum gewährt werden. Das Grundgesetz hält ein solches Recht hierzulande nicht explizit fest, jedoch lassen sich diesbezügliche Anforderungen an Gesellschaft und Staat aus dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ableiten.
Die Diskussionen um ausreichenden Wohnraum, bezahlbare Mieten, sozialen Wohnungsbau und Mieterschutz prägen seit Jahrzehnten die gesellschaftliche und politische Debatte in Deutschland und flammen angesichts regionaler gravierender Knappheiten in den letzten Jahren wieder stark auf. Insbesondere die Frage, inwieweit und in welcher Form der Staat in das Marktgeschehen eingreifen soll, sorgt hierbei für Kontroversen. Während die einen staatliche Förderung und Anreize zu verstärktem privatwirtschaftlichem Engagement präferieren, fordern andere die Verstaatlichung großer Wohnkonzerne und umfassende staatliche Investitionen.
Zudem überrascht es nicht, dass in einem Land mit einem überdurchschnittlich hohen Bevölkerungsanteil, der zur Miete wohnt (2024 = 52,8 % lt. Statista), die Diskussion um die Deckelung der Mietpreise und die Ausgestaltung des Mieter:innenschutzes immer wieder eine zentrale Rolle spielt. Im aktuellen Koalitionsvertrag findet sich diesbezüglich u. a. die Verlängerung der Mietpreisbremse in angespannten Wohnungsmärkten für vier Jahre, während parallel eine Expert:innengruppe mit Mieter- und Vermieterorganisationen notwendige Reformen erarbeiten soll.
Beitrag der ökonomischen Bildung
Ökonomische Bildung leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, die vielfältigen und komplexen Diskurse rund um das gesellschaftlich relevante Thema „Wohnen“ angemessen nachvollziehen und hierzu begründet Stellung nehmen zu können. Gleichzeitig können anhand der Thematik grundlegende ökonomische Kompetenzen exemplarisch vermittelt werden, wie die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen:
- Es bedarf ökonomischer Grundkenntnisse, um die Preisentwicklungen auf den Märkten für Wohnraum in Städten und Gemeinden, bei all ihren Spezifizierungen, nachvollziehen und die (Aus-)Wirkungen staatlicher Eingriffe wie der Mietpreisbremse sachgerecht analysieren zu können.
- In allen Diskursen spielen ökonomische Interessenkonflikte eine Rolle. Zu deren Bewertung ist stets ein mehrperspektivischer Ansatz zu wählen und sind die Positionen der unterschiedlichen Akteure (z. B. private Mieter:innen und Vermieter:innen) gegenüberzustellen und abzuwägen.
- Der Staat setzt die Rahmenbedingungen für den Markt (z. B. Bau- und Mietrecht), gleichzeitig greift er auch direkt ins Marktgeschehen ein (z. B. Mietpreisbremse) und agiert selbst als Akteur (z. B. öffentlicher Wohnungsbau). Die Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Zielsetzungen sowie den hieraus resultierenden Folgen bedingt Grundkenntnisse bzgl. der Ausgestaltung unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund von Forderungen nach einer Verstaatlichung privatwirtschaftlicher Unternehmen.
- Es gilt, die vielfältigen Interdependenzen zwischen den Handlungen und Entscheidungen der Akteur:innen herausarbeiten sowie sich Formen von Markt- und Staatsversagen erschließen zu können. Die Ausgestaltung einer Mietpreisbremse wirkt sich beispielsweise konkret auf das Verhalten von Investor:innen und Vermieter:innen aus, Klimaschutzvorgaben sind für Gebäudeeigentümer:innen relevant, während die Zinspolitik der Zentralbanken den privaten Wohnungsbau beeinflusst. Zudem können staatliche Maßnahmen immer auch nicht-intendierte negative Effekte verursachen, beispielsweise wenn die Einführung einer Mietpreisbremse dazu führt, dass weniger Wohnraum vermietet und stattdessen verkauft wird.
- Wirtschaftsethische Aspekte spielen stets eine relevante Rolle: Was sind faire Mieten? Wie kann Wohnraum gerecht verteilt werden? Welche Beschränkungen müssen Marktteilnehmer:innen im Sinne gemeinschaftlicher Ziele „erdulden“? Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Fragen in gesellschaftlichen Großgruppenkontexten sind Kenntnisse hinsichtlich der Wirkungsweise Sozialer Dilemmata sowie die Unterscheidung von individual- und institutionen- bzw. ordnungsethischen Ansätzen hilfreich bzw. notwendig.
Die Auflistung ließe sich problemlos erweitern. Hinsichtlich der Beschäftigung mit den o. g. Themen lassen sich vielfältige curriculare Anknüpfungspunkte finden:
Inhaltsbereich „Private Haushalte“
- Mietausgaben oder Kreditrückzahlungen stellen für viele Private Haushalte relevante fixe Kosten dar und sind in der jeweiligen Haushaltsplanung zu berücksichtigen. Einige gesellschaftliche Gruppen (z. B. Studierende, Menschen mit geringem Einkommen) sehen sich hier existenziellen Herausforderungen gegenüber.
- Mieter:innen zählen zu den vulnerablen Konsument:innengruppen. Die Nachfrage nach Wohnraum ist i. d. R. nicht flexibel, woraus sich starke Abhängigkeiten ergeben. Deshalb spielen staatliche Schutzmaßnahmen für Mieter:innen eine große Rolle.
- Viele Private Haushalte streben den Erwerb von Wohneigentum an, u. a. auch im Hinblick auf die Altersvorsorge. Hier nehmen wiederum rechtliche Rahmenbedingungen, staatliche Förderprogramme, aber auch gesamtwirtschaftliche Prozesse Einfluss auf die Entscheidungen.
- Einkommen aus Mieteinnahmen spielen für gut fünf Millionen Private Haushalte eine relevante Rolle. Sie vermieten ca. 2/3 der Mietwohnungen in Deutschland
- Die Ausgestaltung des Wohnbereichs gilt als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Hier kommen beispielsweise Influencer:innen, aber auch eine große Zahl von Unternehmen (z. B. Möbelbranche) ins Spiel, um Einfluss zu nehmen bzw. die resultierenden Bedarfe zu bedienen.
Inhaltsbereich „Unternehmen“
- Branchen und Unternehmen im Bereich Wohnen sind volkswirtschaftliche relevant, sowohl im Hinblick auf den Beitrag zur Bruttowertschöpfung, wie auch die Zahl der Erwerbstätigen. Sie bedienen auf den Märkten wesentliche Bedarfe der Nachfrager:innen.
- Unternehmen im Wohnungsmarkt bewegen sich permanent im Spannungsfeld zwischen Rendite und moralischen Werten. Die Stellung von Großkonzernen wird immer wieder diskutiert, beispielsweise im Hinblick auf die Gentrifizierung von Stadtvierteln mit der Verdrängung weniger zahlungskräftiger Bevölkerungsgruppen.
- Die Unternehmen haben eine Vielzahl von rechtlichen Regelungen zu beachten (s. u.) und kritisieren in diesem Zusammenhang regelmäßig die Zahl der bestehenden bürokratischen Vorgaben.
- Daneben gibt es zahlreiche mit dem Wohnen verbundene Märkte, auf denen Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen, beispielsweise Versorgungsunternehmen, Bauunternehmen sowie Handwerksbetriebe für den Neubau und/oder Sanierungsmaßnahmen.
Inhaltsbereich „Staat“
- Der Wohnungsmarkt ist durch vergleichsweise umfassende staatliche Rahmungen und Eingriffe charakterisiert.
- Es kommen gleichermaßen ordnungs-, wie prozess- und strukturpolitische Instrumente zum Einsatz.
- Immer wieder gilt es das Gemeinwohl und die Interessen Schutzbedürftiger mit den Marktmechanismen und privatwirtschaftlichen Interessen abzuwägen und Lösungen herbeizuführen, die den gesellschaftlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechen und gleichzeitig die Vorteile von Markt und Wettbewerb nicht unterminieren.
Inhaltsbereich „Internationale Wirtschaftsbeziehungen“
- Neben dem Vergleich mit den Märkten und staatlichen Vorgehensweisen in anderen Staaten, ist hier im Wesentlichen die Personenfreiheit im Europäischen Binnenmarkt zu thematisieren. EU-Bürger:innen können ihren Wohnort weitgehend unbeschränkt wählen.
- Darüber hinaus kann die Rolle internationaler Unternehmen auf dem nationalen Markt ebenso analysiert werden wie die grenzüberschreitende Spekulation mit Immobilien und deren Folgen.
Im Hinblick auf die methodische Umsetzung können bei der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit den o. g. Inhalten verschiedene handlungsorientiere Methoden zum Einsatz kommen. Mithilfe von Fallstudien lässt sich beispielsweise die Situation vor Ort anhand konkreter Probleme analysieren, die Entwicklung von Szenarien hilft bei der Prognose zukünftiger Entwicklung und potenzieller Handlungsoptionen, Pro-Kontra-Diskussionen oder Debatten können wiederum die Interessenkonflikte unterschiedlicher Akteur:innen hinsichtlich ausgewählter Problemstellungen veranschaulichen und zu tiefergehenden Einblicken verhelfen.
Tipp
Material des Monats: Wohnungsknappheit und steigende Mieten – was kann und sollte die Politik tun?
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